3. Zugang zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete und Vertriebene
Die Erwerbsbeteiligung von Geflüchteten ist von Qualifikationen und Zugangsmöglichkeiten am Arbeitsmarkt abhängig, ebenso wie von Sprachkenntnissen und der Anerkennung beruflicher Qualifikationen. Weiters spielen Wohnortwahl und Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes, sowie Fluchterfahrung und psychische Gesundheit, Erwartungshaltungen und Familienkonstellationen eine große Rolle. Die Erwerbsquote von anerkannten Konventionsflüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten ist in Österreich schlecht erfasst. Zwar ist anhand der Sozialversicherungsdaten ersichtlich, ob eine Person jemals in Bundesbetreuung war, also Grundversorgung (als Asylwerbende/r oder als ukrainische/r Vertriebene) erhalten hat, jedoch geht daraus nicht hervor, ob dem ein Asylstatus oder ein anderer Schutzstatus folgte. Ebenso gibt es keine Einblicke in die Länge des Asylverfahrens bei Erwerbstätigen, wodurch Rückschlüsse von der Dauer des Verfahrens auf spätere Arbeitsmarktintegrationserfolge nicht möglich sind.
Jedoch legen Studien auf internationaler Ebene nahe, dass sich ein früher Arbeitsmarktzugang positiv auf die Erwerbsaufnahme von Geflüchteten auswirkt. So zeigt eine Studie der Universität Stanford und der ETH Zürich (Marbach et al. 2018), wie hoch die Kosten restriktiver Arbeitsmarktpolitik sind: Hätte Deutschland in den 1990ern den Arbeitsmarkt für Geflüchtete aus Ex-Jugoslawien nur 7 Monate früher geöffnet, so wären durch geringere Sozialausgaben und mehr Steuereinnahmen pro Jahr 40 Millionen Euro eingespart worden. Das lässt sich durch den sogenannten „Narbeneffekt“ von Arbeitslosigkeit erklären: Je länger ein Mensch nicht arbeiten darf, desto stärker und nachhaltiger sinkt die Motivation, und diese steigt auch nach erfolgtem Arbeitsmarktzugang nicht wieder so rasch an. Deshalb sind die ersten Monate im Aufnahmeland besonders entscheidend für die Erwerbsbeteiligung von Geflüchteten.
Der Wiener Integrationsrat regt deshalb den Abbau bürokratischer Hürden beim Arbeitsmarktzugang für Asylwerbende an. Die generelle Möglichkeit zur gemeinnützigen Tätigkeit von Asylwerbenden wird begrüßt, jedoch darf diese nicht in eine Form der Zwangsarbeit münden. Bei der aktuell diskutierten Arbeitspflicht mangelt es an rechtlicher Zulässigkeit und praktischer Umsetzbarkeit, etwa was die Verfügbarkeit von Trägerorganisationen betrifft, die solche Tätigkeiten anbieten. Statt einer Pflicht zur gemeinnützigen Tätigkeit sollte die reguläre Erwerbsaufnahme während des Verfahrens unterstützt werden.
Zudem wird die Möglichkeit des Spurwechsels von der Asylschiene in einen regulären Aufenthaltstitel nach deutschem Vorbild empfohlen. Asylwerbenden, die in Mangelberufen tätig sind, und ihren Arbeitgeber*innen bietet das Rechtsicherheit und stellt gleichzeitig einen Beitrag gegen den Arbeitskräftemangel dar.
Für Wien erlauben Daten aus dem Mikrozensus eine grobe Annäherung anhand der Staatsbürgerschaft beziehungsweise des Geburtsorts. Für Menschen aus Syrien und Afghanistan (beziehungsweise mit syrischer oder afghanischer Staatsbürgerschaft), die vor 2012 gekommen sind, ergibt sich eine Erwerbsquote von 33 Prozent (Frauen) beziehungsweise 65 Prozent (Männer). Für nach dem Jahr 2012 Gekommene beträgt die Erwerbsquote 10 Prozent für Frauen beziehungsweise 46 Prozent für Männer.[1]
Studien zur Arbeitsmarktintegration von anerkannten Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan, Irak und Iran, die überwiegend seit 2010 nach Österreich gekommen sind und damit die starke Fluchtbewegung 2015 bis 2016 abdecken, zeigen ein Muster: Geflüchtete erfahren anfänglich eine starke Dequalifizierung, der mit der Zeit meist nur eine moderate berufliche Verbesserung folgt (Leitner 2023). Während soziale Kontakte zur einheimischen Bevölkerung für berufliche Veränderungen keine Rolle spielten, erwiesen sich ko-ethnische soziale Netzwerke – insbesondere, wenn sie als Strategie für die Arbeitssuche genutzt werden – über den gesamten Verlauf als nachteilig. Ko-ethnische soziale Netzwerke sind jedoch von Vorteil, wenn sie in Kombination mit dem österreichischen Arbeitsmarktservice oder NGO-Angeboten genutzt werden. Für bestimmte Gruppen war die Erwerbsaufnahme besonders schwierig, zum Beispiel für ältere Geflüchtete oder Geflüchtete mit hohem Bildungsniveau, die anfangs eine stärkere berufliche Abwertung erfahren, während die spätere berufliche Aufwertung entweder begrenzt ist oder ganz ausbleibt. Dies deckt sich mit Studien, die die Relevanz eines sofortigen Zugangs zu verschiedenen Ausbildungs- und Umschulungsprogrammen für Geflüchtete belegen, um die Qualität der Arbeitsplätze zu verbessern (Jestl & Tverdostup 2023; Mara 2023; Verwiebe et al. 2019).
Eine Studie, die Wien mit Bologna vergleicht, verdeutlicht zudem die Relevanz lokaler sozialer Innovationen zur Erleichterung des Zugangs von Flüchtlingen zum Arbeitsmarkt. Die Ergebnisse zeigen, dass institutionelle Maßnahmen, die lokale politische Kultur und die Mobilisierungsfähigkeit der Zivilgesellschaft die Entwicklung innovativer Praktiken beeinflussen und sich positiv auf die Erwerbsaufnahme Geflüchteter auswirken kann (Mocca et al. 2022). Der von der Stadt Wien verfolgte integrative Ansatz steht jedoch im Widerspruch zu einer strengeren nationalen Migrations- und Asylpolitik. Die Erwerbsbeteiligung von Flüchtlingen in Wien hängt dadurch von mehreren Akteuren mit sich teilweise überschneidenden Zuständigkeiten ab (Schnelzer et al. 2022). Dadurch ergeben sich viel Expertise auf mehreren Ebenen und enge Kontakte, jedoch auch Abhängigkeiten von Finanzierung und begrenzte Beteiligungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft. Der Wiener Integrationsrat regt an, mehr und interaktive Formen der zivilgesellschaftlichen Beteiligung für die Unterstützung der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten zu schaffen.