2. Anwerbung und Teilnahme von Migrant*innen am Arbeitsmarkt
 

Auffallend in Wien ist eine vergleichsweise niedrige Erwerbstätigkeit von migrierten Frauen aus Drittstaaten.

2.1 Erwerbsarbeit von zugewanderten Frauen aus Drittstaaten

„Ein gleichberechtigter und chancengleicher Zugang zum Arbeitsmarkt ist ein wesentlicher Faktor für die erfolgreiche Integration. […] Teilhabe am Erwerbsleben [ist] nicht nur Grundlage für die Sicherung der Existenz, sondern auch zentral […], um Deutschkenntnisse zu vertiefen, neue soziale Netzwerke aufzubauen und Freundschaften zu schließen“ (Stadt Wien – Integration und Diversität 2023, S. 97). Erwerbsarbeit von Frauen unterstützt auch einen Wandel sozialer Normen in Richtung egalitäre Geschlechterbeziehungen und verringert damit familiäre Abhängigkeit von Frauen und die Reproduktion patriarchaler Geschlechterverhältnisse.

Aus all diesen Überlegungen heraus ist die chancengleiche Teilhabe von Frauen an Erwerbsarbeit ein wichtiges Ziel der Wiener Integrationspolitik. Hier liegt aber ein Defizit vor: Wien verzeichnet eine niedrigere Erwerbsbeteiligung von migrierten Frauen aus Drittstaaten im Vergleich zu Frauen aus anderen Herkunftsländern sowie zu Frauen ohne Migrationsbiographie. Daten des Wiener Integrations- und Diversitätsmonitors 2023 zeigen:

  • Bei Männern gibt es deutlich weniger Unterschiede in der Erwerbstätigenrate zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund als bei Frauen. Frauen mit Migrationshintergrund aus einem Drittstaat sind weniger oft erwerbstätig als jene aus EU-Staaten oder Frauen ohne Migrationshintergrund, unabhängig davon, ob ihre Schulbildung im Ausland oder Inland erfolgte.

  • Kinderbetreuungspflichten wirken sich bei Frauen mit Migrationshintergrund aus einem Drittstaat stärker negativ auf die Erwerbstätigkeit aus als bei anderen Teilen der Wiener Bevölkerung.

Die Gründe für die niedrigere Erwerbsbeteiligung von zugewanderten Frauen sind vielfältig. Sie hängen mit dem Bildungsniveau und -ort, der Verfügbarkeit von Kinderbetreuungseinrichtungen (Pennerstorfer/Neumayr 2022) und traditionellen Lebensplänen, Familien- und Weiblichkeitsvorstellungen zusammen. Wie Studien zeigen, spielen neben den eher individuellen Charakteristika die Hürden beim Zugang zur Erwerbsarbeit und bei der Anerkennung von Abschlüssen, sowie Dequalifizierung am Arbeitsmarkt eine große Rolle (Kohlenberger 2023). Internationale wie österreichische Studien untermauern, dass Frauen am Arbeitsmarkt oft eine doppelte Diskriminierung als Frau und als Migrantin erfahren, insbesondere wenn sie über Familiennachzug oder humanitäre Zuwanderung migriert sind (Schönherr et al. 2019; Frattini & Solmone 2022).

Der W.I.R empfiehlt deshalb, die strukturellen Ursachen und individuellen Motive, die hinter dem Phänomen der relativ niedrigen Erwerbsbeteiligung von zugewanderten Frauen in Wien liegen, besser zu untersuchen, um strukturelle Maßnahmen zur Ermöglichung von Erwerbstätigkeit zu formulieren und zu implementieren.

Praktische Erfahrungen mit punktuellen Maßnahmen, wie der angekündigten Verbesserung der Ausbildungsanerkennung bei philippinischen Fachkräften (siehe unten), sollten für breitere Initiativen genutzt werden.

2.2 Anwerbung von Arbeitskräften für die Pflege und im medizinischen Bereich

Angesichts der hohen Fachkräftenachfrage in vielen europäischen Ländern werden reguläre Migrationswege gesucht, gefunden und gefördert. Vor diesem Hintergrund haben die Stadt Wien und die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) mit den Philippinen im Jahre 2023 ein Memorandum abgeschlossen, um bereits qualifizierte, erfahrene Pflegekräfte zu rekrutieren. Ziel dieses Abkommens ist weiters die Verbesserung der Ausbildungsanerkennung auf der Wiener und die Erleichterung der Auswanderungsbedingungen auf der philippinischen Seite. Zuständig für die Kooperation ist der Fonds Soziales Wien sowie der Wiener Gesundheitsverbund.

Abkommen über Arbeitsmigration können grundsätzlich Angebotslücken am heimischen Arbeitsmarkt füllen, den Herkunftsstaaten durch Rücküberweisung und Rückkehr von im Ausland qualifizierten Migrant*innen nutzen und Alternativen zur irregulären Migration eröffnen. Neben den bestehenden Möglichkeiten der individuellen Zuwanderung von qualifizierten Migrant*innen (Rot-Weiß-Rot Karte) sollten daher auch Abkommen für bestimmte Sektoren und Berufe angepeilt werden. Bei Beteiligung der Stadt Wien an solchen Abkommen sollte ein Katalog von aufenthalts-, sozial- und arbeitsrechtlichen Mindeststandards entwickelt werden.

Der W.I.R regt dazu an: Anwerbeabkommen dürfen keine Neuauflage der alten sogenannten Gastarbeiter*innen-Anwerbung sein und die Probleme der lange fehlenden sozialen Integration nicht wiederholen. Aus diesem Grunde ist es wichtig, dass die Anwerbungsmodalitäten und die Begleitung tatsächlich ressortübergreifend, also unter Einbindung der Expertise zu Integration, erfolgt. Weiters sollten von Beginn an die folgenden Fragen beantwortet werden:

  • Konkrete Überlegungen zu Möglichkeiten des Spurwechsels von temporären Aufenthalten zu Daueraufenthalt

  • Zugang zu Sprachkursen

  • Maßnahmen für soziale Integration

  • Regelungen einer allfälligen Familienzusammenführung (siehe EMN-OECD Inform 2022).