3. Einbürgerungsverfahren
Während die Gesetzgebung im Bereich des Staatsbürgerschaftsrechts in Österreich ausschließlich Bundesangelegenheit ist, liegt die Vollziehung in der Kompetenz der Länder. Diese haben freilich das skizzierte strenge Bundesgesetz zu vollziehen; innerhalb des vorgegebenen rechtlichen Rahmens steht den Vollzugsbehörden in der konkreten Handhabe allerdings ein gewisser Handlungsspielraum offen.
In erster Linie ist es selbstverständlich Verpflichtung des Landes, das einwandfreie Funktionieren der zuständigen Behörde sowie gesetzeskonforme Verfahren zu garantieren. Hier sind in der Vergangenheit massive Probleme aufgetreten, die sowohl von öffentlichen Kontrolleinrichtungen wie der Volksanwaltschaft (1996/97, 1998, 2008, 2009, 2010, 2011, 2012, 2013, 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019, 2020, 2021) und dem Stadtrechnungshof Wien (2015, 2022) als auch zivilgesellschaftlichen Organisationen wie SOS Mitmensch (2022) über einen langen Zeitraum wiederholt festgestellt und ausführlich dokumentiert wurden. Gravierende Verfahrensverzögerungen bei Einbürgerungen und organisatorische Mängel in der zuständigen Wiener Magistratsabteilung wurden von der Volksanwaltschaft beispielsweise bereits in ihrem Bericht aus dem Jahr 1996/97 an den Wiener Landtag kritisiert. Seitdem und mit steigender Intensität finden sich Hinweise auf behördliche Missstände (Verfahrensdauer, mangelnde Erreichbarkeit der Behörde und fehlerhafte Kommunikation, Verlust von eingereichten Dokumenten, unfreundliches bis abwertendes Verhalten, et cetera) in beinahe jedem der jährlichen Berichte der Volksanwaltschaft. Trotz dieser anhaltenden Kritik, eines ab 2013 eingeleiteten Optimierungsprozesses und weiterer zahlreicher Maßnahmen ab 2021 konnte das Problem überlanger Verfahren bis heute nicht nachhaltig aufgelöst werden. Wie der Stadtrechnungshof Wien in seinem Prüfbericht vom Dezember 2022 feststellt, konnte zwischen 2015 und 2020 nur knapp die Hälfte aller Verfahren der MA 35 im Bereich Staatsbürgerschaft innerhalb der gesetzlichen Frist von maximal 6 Monaten abgeschlossen werden (Stadtrechnungshof Wien 2022). Aktuell beträgt alleine die Wartefrist für einen Termin zur Antragsstellung für eine Einbürgerung etwas mehr als ein Jahr.
Die Wiener Landesregierung hat sich in ihrem Koalitionsabkommen darauf verständigt, die Verfahrensqualität im Bereich Staatsbürgerschaft durch zusätzliche Ressourcen, eine behördliche Umstrukturierung und die Digitalisierung von Abläufen deutlich zu heben und damit wieder einen rechtskonformen Vollzug zu garantieren.[1] Dieser Prozess ist derzeit in Umsetzung und bereits gesetzte Maßnahmen scheinen erste Wirkung zu zeigen. So konnte beispielsweise mit den neu entwickelten Informationsveranstaltungen zumindest die Wartefrist vor einer Antragstellung reduziert werden. Diese werden von der Behörde gemeinsam mit dem Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen durchgeführt und ersetzen seit Februar 2023 die bisherigen individuellen Erstinformationsgespräche (die einem späteren Antrag vorgelagert sind und für die es bis zuletzt ebenfalls Wartezeiten von mehr als einem Jahr gab).
Im Verfahren selbst stellen oftmals nicht nur die Erfüllung der hohen gesetzlichen Voraussetzungen, sondern mitunter auch die Beibringung der notwendigen Unterlagen und Dokumente eine problematische Hürde dar. Die Beschaffung von Dokumenten wie Strafregisterauszügen aus Herkunfts- und früheren Aufenthaltsländern für die letzten 20 Jahre beispielsweise kann für Antragsteller*innen kosten- und zeitintensiv und nicht selten schlichtweg unmöglich sein. Es liegt an der Vollzugsbehörde festzustellen, ob Antragsteller*innen sich ausreichend bemüht haben.Sie kann bei Unmöglichkeit von der Vorlage gewisser Urkunden absehen und besitzt damit durchaus Handlungsspielraum.
Die gesetzlich vorgeschriebene Rücklegung der bisherigen Staatsbürgerschaft(en) kann von der Vollzugsbehörde vor der Einbürgerung in Österreich verlangt werden (§ 20 StbG) oder erst innerhalb von längstens 2 Jahren nach dem Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft (bei Entzug der österreichischen Staatsbürgerschaft falls kein Nachweis erbracht wird, § 34 StbG). Im ersteren Fall sieht das Gesetz menschen- und völkerrechtlich problematisch (zwischen Rücklegung der bisherigen und Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft) regelmäßig temporäre Staatenlosigkeit vor. Diese kann auch zu permanenter Staatenlosigkeit führen, wenn nach der Rücklegung der bisherigen Staatsbürgerschaft neue Hindernisse für die Einbürgerung auftauchen.[2] Gleichzeitig legt es das Gesetz in die Hand der Behörde, menschenrechtskonform zu agieren und die Rücklegung erst nach der Einbürgerung zu verlangen. Für Unionsbürger*innen ist dieses Vorgehen seit dem Urteil des EuGH aus dem Jahr 2022 Standard, bei Drittstaatsangehörigen unterscheidet sich die Praxis der einzelnen Bundesländer.