Superdiversität, fehlende Deutschkompetenzen und multiple Bildungsbenachteiligungen
Die migrationsgeprägte Vielfalt in der Stadt zeigt sich insbesondere in superdiversen Klassenverbänden der Wiener Pflichtschulen. Diese Schulen zeichnen sich durch eine sehr hohe Vielfalt aus, in denen es keine stabilen ethnischen und sprachlichen Mehrheiten gibt. Mit der Einschulung von Kindern und Jugendlichen, die im Zuge der Flüchtlingsbewegung 2015/16 nach Österreich gekommen sind, sowie auch durch die verstärkte Zuwanderung aus Osteuropa, hat diese Pluralisierung nochmals zugenommen (Statistik Austria 2019: 10).
Dieser Trend der Superdiversifizierung führt dazu, dass sich die zuvor beobachteten ethno-linguistischen Sprachinseln und Kleingruppen, primär aus türkisch- oder serbokroatisch-sprechenden Schüler*innen, zugunsten sprachlich gemischter Freundescliquen zurückbilden (Statistik Austria 2022: 25f). Diese herkunftsbezogene und sprachliche Mikrodiversifizierung der Klassenverbände verstärkt, dass sich Kinder und Jugendliche in den Freundesgruppen immer weniger in der Erstsprache unterhalten können und sich Deutsch als gemeinsame Verkehrssprache durchsetzt. Dadurch fühlen sich auch die Lehrer*innen eher imstande, das Geschehen in der Klasse und die Kommunikation zwischen Schüler*innen besser zu verstehen.
Wie Umfragen mit Lehrer*innen und Schüler*innen an Wiener Mittelschulen jedoch zeigen, ist das untereinander gesprochene Deutsch der Schüler*innen sehr häufig unzureichend. Das Fehlen hinreichender Deutschkenntnisse betrifft dabei Schüler*innen der jünger zugewanderten Gruppen ebenso wie auch viele der schon länger ansässigen migrantischen Familien und wird über den schulischen Werdegang nicht hinreichend aufgefangen.(1)
Verstärkt wird dieser Prozess durch verschiedene formale und informelle, sozial-strukturelle wie auch räumliche Segregationsprozesse. Neben der frühen Selektion und Segregation von Schüler*innen an Mittelschulen und höher bildenden Schulen, wirkt auch die sozio-ökonomische Segregation polarisierend – trotz Versuchen der Stadt Wien über soziale Durchmischungsstrategien hier graduell entgegenzuwirken. Die schulische Polarisierung wird dadurch verstärkt, dass autochthone und migrantische Bildungsmittelschichten und -oberschichten ihre Kinder in Privatschulen schicken (Statistik Austria 2022: 22 & 30), und es dadurch zu einer weiteren Verdichtung von Kindern aus bildungsferneren Familien in bestimmten Grund- und Mittelschulen kommt.
Somit kumulieren multiple Probleme, die die Bildungschancen von Schüler*innen aus bildungsärmeren Familien massiv einschränken. Diese Probleme zeigen sich in einer migrationsgeprägten Stadt wie Wien deutlich markanter als in anderen österreichischen Städten. Auf diesen stärkeren Handlungsbedarf versucht die Stadtregierung mit verschiedenen Ansätzen zu reagieren. Neben der allgemeinen Forderung nach einer gemeinsamen Schule bis zur 8. Klasse braucht es unter anderem umfassende Schulentwicklungsprozesse in Schwerpunktschulen, in die alle Schulpartner*innen eingebunden werden.
Fußnoten
(1) Vgl. Pilotprojekt „Respekt-Gemeinsam Stärker!“ Stadt Wien; Befragung von 341 Lehrer*innen & 2.119 Schüler*innen an 10 MS/NMS. Die schlechten Deutschkenntnisse der Schüler*innen bewerten insgesamt 80% (mangelhaft 40% und problematisch 41%) als ein Problem, welches auch in der Kommunikation und Kontaktqualität mit den Eltern zu beobachten ist.