3. Schule, Bildung und Jugendarbeit
Dass Österreich eine Migrationsgesellschaft ist, wurde auch im Bereich der Bildung jahrzehntelang ignoriert. Das österreichische Schulsystem zeichnet sich unter vergleichbaren Staaten (OECD) durch ein besonders hohes Ausmaß an Bildungsungerechtigkeit aus. Besonders hoch ist die Benachteiligung, wenn ein Kind in eine ökonomisch schwache, bildungsferne Familie mit einer anderen Erstsprache als Deutsch geboren wird. Diese Kinder können hierzulande in den meisten Fällen die Defizite, die sie in Kindergarten und Schule mitbringen, im Laufe ihrer Schullaufbahn nicht ausgleichen.
Die Ursachen sind bekannt: Die Kindergartengruppen sind im internationalen Vergleich zu groß, nach wie vor gibt es keine tertiäre Ausbildung für Kindergartenpädagog*innen. Defizite werden vom Kindergarten in die Schule mitgenommen, sehr oft ohne dort durch gezielte individuelle Förderung behoben zu werden. Der Unterricht ist – strukturell – nicht auf Einzelförderung ausgerichtet. Österreich zählt auch zu den Ländern mit dem geringsten Anteil an Unterstützungspersonal (Förderlehrkräfte, Zweitsprachenlehrer*innen, Sozialarbeiter*innen, Schulpsycholog*innen, Krankenpfleger*innen u.a.). Darüber hinaus gibt es, international einzigartig, an den meisten Pflichtschulen kein administratives Personal. Die Digitalisierung hinkt nach. Die enorm wichtigen Kooperationen mit Eltern, gerade aus migrantischen Familien mit anderen Erstsprachen als Deutsch, sind im System nicht vorgesehen.
All diese Probleme kommen in Wien besonders zum Tragen, da die Stadt seit Jahrzehnten von Zuwanderung geprägt ist, das Schulsystem sich aber nach wie vor nicht auf die veränderte Ausgangssituation eingestellt hat. Seit dem Schuljahr 2018/19 gibt es die unter Wissenschaftler*innen sehr umstrittenen segregierten Deutschförderklassen.
Corona hat die verschiedenen Problemfelder im Bildungsbereich einer breiten Öffentlichkeit sichtbar gemacht und darüber hinaus die Bildungsungleichheit weiter verstärkt. Das geht aus den Studien von Mario Steiner u.a. (https://inprogress.ihs.ac.at/wwtf/) sowie aus der Studie von Christiane Spiel u.a. (https://lernencovid19.univie.ac.at/) hervor. Kinder aus benachteiligten Familien waren in der Pandemie viel schwerer erreichbar und sind noch weiter zurückgefallen. Laut IHS-Studie war im ersten Lockdown in Wien fast ein Drittel der benachteiligten Schüler*innen (31,3 %) nicht erreichbar. Im zweiten Lockdown waren es noch immer 17,4 %. Zusätzliche Fördermittel stehen derzeit nur bis zum Ende des Wintersemesters 2020/21 zur Verfügung. Besonders betroffen sind die Kinder aus den so genannten Deutschförderklassen, die als einzige keine Prüfungserleichterungen erhalten haben. Die ursprünglich für diese Gruppe ins Leben gerufene Sommerschule konnte die Bildungsrückstände dieser Schüler*innen nicht ausgleichen. Das neue Budget sieht leider für den Bildungsbereich bescheidene 310 Millionen zusätzlicher Mittel vor. Davon sind allerdings 238 Millionen für PCR- und Antigentests budgetiert, die zwar für das Offenhalten der Schulen in der Pandemie wichtig waren, im Sinne des Bildungsauftrags aber keinen Mehrwert bringen.
Empfehlungen
Der Wiener Integrationsrat empfiehlt daher, Eltern gezielt mehrsprachig über Lernangebote, die bereits jetzt kostenlos zur Verfügung stehen, zu informieren. Das community-basierte Projekt „Schule im Grätzel / Bildungsgrätzel“ könnte, wie auch der Kontaktbesuchsdienst, auf ganz Wien ausgedehnt werden. Dadurch wird dem Aspekt des Outreach Rechnung getragen und Angebote gelangen zielgruppengerecht dorthin, wo sie benötigt werden.
In den Kindergärten sollte in diesem Jahr der Fokus auf den Ausgleich von durch die Pandemie entstandenen Defiziten sowie auf die gezielte Sprachförderung gelegt werden. Die Zusammenarbeit mit bereits bestehenden community-basierten Initiativen und Vereinen (wie zum Beispiel der Initiative “Mama lernt Deutsch”, Interface, dem Projekt „LesepatInnen“ und den Lerncafes der Caritas Wien u.a.) sollte ausgebaut werden.
Für Kinder in Deutschförderklassen müssen zusätzliche Ressourcen gezielt zum Einsatz kommen. Auch Lehramtsstudierende sollten in diesen Klassen zur Unterstützung herangezogen werden. Insgesamt muss in Wien in diesem Kindergarten- und Schuljahr, ebenso wie dem nächsten, der Fokus auf das Aufholen der Defizite gelegt werden. Dafür benötigt man nicht nur zusätzliche Ressourcen, sondern es müssen auch vorhandene Unterstützungssysteme genutzt werden.
Die schwere Erreichbarkeit ohnehin benachteiligter Kinder und Jugendlicher betrifft auch die offene Jugendarbeit. Hier gilt es zusätzliche, „pandemietaugliche“ Angebote zu entwickeln und diese seitens der Stadt auch entsprechend zu fördern.