2. Arbeitsmarkt und Mobilitätsbeschränkungen
Die coronabedingte Arbeitslosigkeit trifft zugewanderte Beschäftigte stärker als inländische. Menschen mit Migrationshintergrund sind in Branchen wie Tourismus, Beherbergung und Gastronomie, die massiv von den Corona-Einschränkungen betroffen sind, überrepräsentiert. Die Pandemie traf in Österreich auf einen stark nach Herkunft (und Geschlecht) segregierten Arbeitsmarkt, wodurch ihre negativen Effekte bei der Erwerbs- und Arbeitslosenquote dieser Gruppe noch stärker zu Tage treten. Das trifft auf die vulnerabelsten Gruppen am Arbeitsmarkt – rezente Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte – ganz besonders zu.
In Österreich ließ sich ein etwa doppelt so hoher Rückgang der Erwerbsquote unter ausländischen Staatsbürger*innen beobachten wie unter österreichischen (EUROSTAT, 2020). Bei Menschen, die nicht in Österreich geboren sind, aber hier arbeiten, war der Rückgang im zweiten Quartal 2020 sogar fast dreimal so hoch wie bei im Inland Geborenen (OECD, 2020). Mögliche Gründe dafür sind branchenspezifische Arbeitslosigkeit und das bekannte Prinzip, dass Menschen mit kürzerer Betriebszugehörigkeit (wozu rezente Geflüchtete in der Regel zählen) bei schlechter Konjunktur als erstes abgebaut werden („last in, first out“). Dazu kommt aber wahrscheinlich auch eine Zunahme von Diskriminierung gegenüber ausländischen Arbeitskräften in wirtschaftlichen Schwächezeiten. Die Resultate zeigen sich in der Veränderung der Arbeitslosigkeit zwischen 2019 und 2020: Ausländische Arbeitskräfte mussten in Österreich 41 % des Anstiegs der Arbeitslosigkeit schultern (OECD, 2020).
Für Wien zeigt eine Auswertung der Arbeitslosenquote (ALQ) nach Staatsbürgerschaft, dass insbesondere Arbeitskräfte aus außereuropäischen Drittstaaten (vor allem geflüchtete Menschen aus Syrien, Afghanistan und Iran) massiv betroffen waren (Grafik 1). Der steilste Anstieg ließ sich zu Beginn der Coronakrise im zweiten und dritten Quartal 2020 mit einer ALQ von knapp 45 % beobachten. Auch Angehörige europäischer Drittstaaten (rund 28 % ALQ) und der neuen EU-Mitgliedstaaten nach der Osterweiterung (25 % ALQ) verzeichneten einen wesentlichen höheren Anstieg der Arbeitslosigkeit als österreichische Arbeitnehmer*innen. Die Höchststände der coronabedingten Arbeitslosenquote von Österreicher*innen und Staatsangehörigen der alten EU Staaten vor 2004 und der EFTA-Staaten unterscheiden sich jedoch kaum.
Doch nicht nur die COVID-19-bedingte Arbeitslosigkeit, auch der Wegfall sozialer Kontakte durch das Gebot des Social Distancing trifft neuangekommene Menschen besonders, weil ihr soziales Netz im Aufnahmeland meistens noch sehr schwach ist. Soziale Bindungen sowohl innerhalb der eigenen Community als auch zur Mehrheitsgesellschaft sind aber für die Arbeitssuche sowie für gesellschaftliche Teilhabe im weiteren Sinn von entscheidender Bedeutung. Berufliche Netzwerke können jedoch während der Pandemie nur unzureichend gepflegt und kaum neu aufgebaut werden – was neben Migrant*innen auch Berufseinsteiger*innen und junge Menschen besonders trifft.
Gleichzeitig verdeutlichte die Pandemie aber auch die starke Abhängigkeit des österreichischen Arbeitsmarkts von migrantischen Arbeitskräften. Migrant*innen arbeiteten häufiger in systemerhaltenden Berufen „an der Coronafront“ als einheimische Beschäftigte, beispielsweise als Lieferant*innen, im Gesundheitswesen oder in Supermärkten. In Österreich hat ungefähr ein Drittel der Arbeitnehmer*innen im nichtakademischen Gesundheitswesen Migrationshintergrund (Statistik Austria, 2020). Während der Anteil ausländischer Staatsangehöriger an der österreichischen Wohnbevölkerung bei etwa 17 % liegt, hatten zu Beginn der Coronakrise 33 % der Beschäftigten in der Nahrungsmittelherstellung, 30 % am Bau, und 22 % im Einzelhandel eine andere Staatsbürgerschaft als die österreichische (BMA, 2020).
Es gibt also einen asymmetrischen Effekt der Coronakrise am Arbeitsmarkt (OECD 2020). Sektoren, die in der Krise besonders gefordert waren und als „systemerhaltend“ definiert wurden, haben einen besonders hohen Anteil von Arbeitskräften mit Migrationshintergrund. Neben der akuten Personalknappheit im medizinischen und Pflegesektor waren es landwirtschaftliche Arbeiter*innen, deren COVID-19-bedingtes Einreiseverbot die heimische Produktion zu gefährden drohte. Durch die Pandemie bedingte Mobilitätsbeschränkungen bildeten somit eine erhebliche Hürde für die Versorgung und Betreuung der (Stadt-)Bevölkerung.
Auf die epidemiologisch notwendigen Beschränkungen der Reisefreiheit wurde anfangs nur unzureichend reagiert. Tatsächlich war im gesamten OECD-Raum im zweiten Quartal 2020 die Zahl der weltweit ausgestellten Visa und Aufenthaltsgenehmigungen um über 70 % eingebrochen (OECD 2020). Betrachtet man nur europäische OECD-Länder, so liegt der Rückgang immerhin noch bei
59 %. Erst nach und nach definierte man Ausnahmen für Einreise unter bestimmten Voraussetzungen. Zu diesen Ausnahmen zählten unter anderem Arbeitskräfte, die in systemrelevanten Berufen tätig waren, insbesondere in der Pflege und Landwirtschaft. Zahlreiche europäische Staaten lockerten durch COVID-19 bedingte Einreisebeschränkungen für ausländische Systemerhalter*innen; manche ermöglichten sogar eigene Charterflüge für Angehörige bestimmter dringend benötigter Berufsgruppen. Für Österreich wurden etwa Sonderflüge und -züge für Pflegekräfte und Erntehelfende organisiert und dadurch Reiseverbote gelockert.
Empfehlungen
Mit Blick auf den hohen Anteil von Wiener*innen mit Migrationsbiographie empfiehlt der Wiener Integrationsrat deshalb, in Zukunft die Mobilität jener Menschen sicherzustellen, die zu Arbeitszwecken oder zur Wahrung ihres Rechts auf Familienleben grenzüberschreitend reisen müssen und auf deren Arbeitskraft die Stadt Wien angewiesen ist. Gleichzeitig müssen Sicherheit und Gesundheit sowohl der Reisenden als auch der Wiener Bevölkerung gewährleistet werden, etwa durch niederschwellige Test- und Impfangebote für grenzüberschreitend mobile Personen noch vor der Einreise.
Trotz der nach den jeweiligen Lockdowns beobachtbaren Erholung am Arbeitsmarkt gilt es sicherzustellen, dass die von der coronabedingten Arbeitslosigkeit besonders betroffenen migrantischen Gruppen möglichst rasch wieder Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Die Stadt Wien kann hier etwa durch die Förderung sozialintegrativer Unternehmen positiv einwirken. Auch zielgruppenspezifische Vermittlungsangebote sollten von der Stadt forciert werden.