Elterneinbindung und die Rolle der Familien
Für die frühe Bildung von Kindern hat die Situation der Familien immense Bedeutung. Daher gibt es vermehrt Bestrebungen, Kindertageseinrichtungen (elementare Bildung) zu Familienzentren weiterzuentwickeln. Ziel solcher Einrichtungen ist es, durch niederschwellige Angebote die Erziehungskompetenz in den Familien zu stärken und damit nicht nur direkt in Kinderbetreuungseinrichtungen, sondern auch indirekt über den Einfluss der Familien zur Bildung der Kinder beizutragen.
Frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung (FBBE) sind wesentlich für den Bildungserfolg von Kindern; dabei kommt jedoch der Qualität des konkreten pädagogischen Angebots eine besondere Bedeutung zu. So zeigte sich z.B. ein Zusammenhang zwischen der Anregung kindlichen Lernens in der Kindertageseinrichtung und der Entwicklung von Selbstkontrolle und sozialem Verhalten am Ende der Volksschule. Positiv auf die Qualität wirkt sich ein günstiges Verhältnis zwischen der Zahl der Fachkräfte und Kinder aus sowie eine am einzelnen Kind ausgerichtete Orientierung in der Kindertageseinrichtung.
Kinder aus ökonomisch schwachen und bildungsfernen Familien sind im österreichischen Bildungssystem stark benachteiligt. Eine andere Herkunftssprache als Deutsch verstärkt diese Benachteiligung. Um dem entgegenzuwirken, bräuchte es daher eine systematische FBBE von ganz klein auf, unter systematischer Einbindung der Eltern. Das findet in Österreich nicht statt, im Gegensatz etwa zu skandinavischen Ländern, wo FBBE und aufsuchende Familienarbeit selbstverständlich sind. In Österreich kommen Kinder aus solch mehrfach benachteiligten Familien sehr oft mit erheblichen Entwicklungsrückständen in den Kindergarten. Dort gelingt es nicht, diese Defizite zu beheben, unter anderem wegen viel zu großer Gruppen und zu wenig Personal. Als Konsequenz werden diese Defizite in die Volksschule mitgenommen, wo es ebenfalls aus strukturellen Gründen meist nicht gelingt, diese auszugleichen und in der Sekundarstufe I werden die Rückstände in weiterer Folge noch größer.
Eine weitere große Schwachstelle ist, dass in Österreich die Mitwirkung der Eltern beim Lernen für die Schule vorausgesetzt wird. Kinder, deren Eltern diese Arbeit nicht leisten oder Nachhilfe nicht bezahlen können, werden dadurch hierzulande strukturell benachteiligt.
In den letzten Jahren hat sich die Forderung, dass Eltern sich stärker in die schulischen Belange und den Bildungserfolg ihrer Kinder einbringen sollen, zu einem bildungsbezogenen Mantra entwickelt. Die Hoffnung, die dahintersteckt, ist eine teilweise Entlastung der Schulen und eine bessere Bildungsunterstützung der Kinder durch eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Lehrer*innen und Eltern.
Die Schattenseite dieser Bestrebung ist jedoch, dass durch die Einbindung der Eltern der schulische Bildungsauftrag teilweise in die Familien ausgelagert wird und dadurch soziale Ungleichheit verschärft wird. Während die Bildungsunterstützung zum Teil selbst für bildungsstarke Familien eine Herausforderung darstellt, sind bildungsfernere Eltern mit dieser Aufgabe oft überfordert, insbesondere wenn Eltern mehrere Kinder zu unterstützen haben. Zudem fehlt es ihnen mitunter an sprachlichen und bildungsbezogenen Ressourcen. Dadurch werden Kinder aus ressourcen- und bildungsstarken Familien bessergestellt und jene aus ressourcen- und bildungsarmen strukturell benachteiligt, weil die Eltern die benötigte Unterstützung nicht leisten können. Dieser Effekt wird verstärkt durch den Aufstieg in höhere Schulstufen, in denen Hausaufgaben noch stärker selektiv wirken. Nicht nur das Potenzial der Kinder, sondern auch das Bildungskapital der Eltern bestimmt damit stark den Schulerfolg der Schüler*innen.
Was die Stadt Wien unternehmen könnte:
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Systematische Einbindung der Eltern im Kindergarten: Elternberatung an den Standorten, unter Einbeziehung von Dolmetscher*innen; Deutschkurse und Alphabetisierungskurse, vor allem auch für Frauen, am jeweiligen Standort, möglichst an Vormittagen (wie etwa „Mama lernt Deutsch” oder das neue Angebot von Elternkursen an Schul- und Kindergartenstandorten in vier Sprachen).
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Personal mit Ausbildung für Deutsch als Zweitsprache und Mehrsprachigkeit an Wiener Kindergärten einsetzen. Geflüchtete mit den Muttersprachen der Kinder als Unterstützung einsetzen.
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Sobald die gröbste Personalnot behoben ist: kleinere Gruppengrößen im Kindergarten, gemäß international üblichen Standards.
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Aufsuchende Elternarbeit von klein an, die (laut derzeitigen gesetzlichen Bestimmungen) auch von Lehrer*innen übernommen werden kann.
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Massive Aufstockung des sogenannten Unterstützungspersonals an Schulen, besonders an Schulen mit großen Herausforderungen.
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Flächendeckende ganztägige Betreuung an allen Wiener Pflichtschulen als vorrangiges Ziel.
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Community- und Grätzl-Projekte, wie das Projekt „Community Kommunikator*innen”, vernetzen und erweitern. Lerncafés breiter zugänglich machen.
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Für Bildungsentwicklung und -erfolg muss primär die Schule verantwortlich sein. Das Angebot an Ganztagsschulen sollte ausgebaut werden, in denen Schüler*innen ihren Hausaufgaben und Übungen von Pädagog*innen unterstützt machen können.